Die einen profitieren von ihr, andere leiden ein Leben lang darunter. Auftrittsangst, auch "Lampenfieber" in Künstlerkreisen genannt, kann in seiner positivsten Form Künstler, Sportler, kurz neudeutsch: alle "Performer" zu Höchstleistungen anspornen. Mehr noch- sie macht Höchstleistung sogar erst möglich, da die Ausschüttung von Endorphinen und Adrenalin mit ihr einhergeht. Und schließlich soll sie gar süchtig machen. In Wirklichkeit liegt das "gesunde" Lampenfieber zwischen gesunder Euphorie und belastender Hysterie.
Sie tritt plötzlich oder schleichend im Vorfeld einer wichtigen Aktion auf und wird verglichen mit einer Gefühlsmischung aus prickelnder Vorfreude bis hin zum angsterfüllten Fluchtreflex.
Im Folgenden soll das Thema nicht von medizinisch- psychologischer Seite behandelt werden, sondern auf der Basis praktischer eigener Erfahrungen und aus Kollegenkreisen.
Auftrittsangst in Folge schlechter Vorbereitung allerdings soll nicht Gegenstand meiner Ausführungen sein. Eines ist jedoch sicher:
Können und Gelassenheit sind die besten Voraussetzungen für eine Besserung der Symptome.
Die Auswirkungen des Lampenfiebers können die Aufmerksamkeit auf ein gesteigertes Maß positiv erhöhen- es können sich aber auch negative Symptome einstellen, wie Herzrasen, Muskelzittern, Schwächegefühle, schwindendes Selbstbewusstsein bis hin zur Vergesslichkeit- die Palette der behindernden Ausprägungen und Kombinationsmöglichkeiten ist beeindruckend groß.
Im ungünstigsten Falle führt Auftritts-"angst" zu teilweiser bis hin zur totalen Außerkraftsetzung der eigenen hart erarbeiteten Fähigkeiten. Physische Muskelverspannungen bewirken schließlich eine psychische Blockade- "rien ne va plus- nichts geht mehr".
Auftrittsangst ist eine natürliche Reaktion des vegetativen Nervensystems, die uns im Laufe der Entwicklung vor vielen Gefahren bewahrt hat. Die Ausschüttung von Adrenalin zum Beispiel schafft als solches die Voraussetzungen für die rasche Bereitstellung von Energiereserven, die in gefährlichen Situationen das Überleben sichern sollen (Kampf oder Flucht). Wir müssen uns ihrer positiven Seiten bedienen und lernen, mit ihr umzugehen, d. h. sie anzunehmen und zu akzeptieren.
Auftrittsangst braucht souveränes, diszipliniertes "Handling". Im schlechtesten Fall kann sie Menschen an der weiteren Ausübung ihres Berufes hindern- und manche treibt sie an den Rand des Alkoholismus oder in die Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln.
Beginnen wir in der Kindheit: in aller Regel empfinden Kinder das gemeinsame Tun, Singen und Musizieren als fröhliches Spiel. In Wirklichkeit aber haben sie gelernt, sich zu konzentrieren, sich selbst und ihre Umgebung zu vergessen. Sie sind dann einfach so, wie sie sind: "ganz selbst".
Bereits ab dem Alter von fünf Jahren weigern sich aber zum Beispiel Jungen in der Öffentlichkeit zu singen. Sie beginnen auf andere Menschen wirken zu wollen und denken darüber nach, wie ihre Umwelt sie erfährt und einschätzt. Kinder beginnen sich zu schämen, gleich dem Verlieren der Unbekümmertheit Adams und Evas nach dem Sündenfall. Diese bedeckten schließlich ihre Scham und hatten ihre Natürlichkeit endgültig verloren.
Die "selbst Bewusstwerdung" hemmt im Umkehrschluss das eigene "Selbstbewusstsein". Besonders Menschen mit mangelndem Selbstbewusstsein oder mit Depressionen neigen zu übermäßig ausgeprägter Auftrittsangst- vollkommen unabhängig davon, ob sie ihre in der Öffentlichkeit ausgeübte Tätigkeit beherrschen oder nicht. Das pure Wissen, alleine vor der Öffentlichkeit stehen zu müssen genügt, damit Menschen die volle Breitseite der Auftrittsangst erleiden, die da bedeutet: ständig kreisende Gedanken um die Situation des Auftrittes, Ausmalen von Fehlermöglichkeiten, Verlust der Körperkontrolle bis hin zu Muskelzittern und die Unfähigkeit, abschalten zu können.
Du kannst nichts daran ändern, dass die Vögel der Sorge über dir kreisen-
Du kannst aber verhindern, dass sie auf deinem Kopfe Nester bauen.
(Martin Luther)
Kennen Sie das, wenn die Gedanken Karussell spielen und die Teufelsschraube der Gedanken sich immer mehr zuzieht? Spätestens dann sollten Sie damit beginnen Ihre Gedanken in den Griff zu bekommen, gleich einem wilden Pferd. Packen Sie Ihr Leben respektive Gedanken an. Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie können- nicht auf das, was passieren könnte. Streben Sie eine innere Gedankenhygiene an.
Abschalten bedeutet, sich zu erholen und die Aufmerksamkeit auf andere Dinge, als den Auftritt zu richten. Das Leben besteht aus viel mehr als dem Auftritt. Öffnen und zerstreuen Sie sich.
Die Lektüre eines Buches vor dem Konzert, das Hören einer entspannenden Musik oder Entspannungsübungen zur Herabsetzung des physisch erhöhten Muskeltonus sind keine Geheimtipps. Alle Entspannungstechniken (autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Atemtechniken, Meditation, Selbsthypnose, Yoga, Biofeedback) unterstützen die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das den Körper zurück in den Normalzustand versetzt und der Ruhe, Erholung und Schaffung neuer Energien dient. Man kann sie unter Fachanleitung sehr schnell erlernen und sie bereichern das Wohlbefinden.
Genauso wichtig ist aber eine gut organisierte und strukturierte Vorbereitung.
Die Bändigung der Auftrittsangst bedarf einer inneren Entschlossenheit und Selbstdisziplin, mit deren Hilfe eine wohlgeordnete Strukturierung der Vorbereitung bis hin zum Auftritt vorgenommen wird.
Eine gute Zeiteinteilung ist das A und O der Vorbereitung. Wie übe ich die letzten Tage vor meinem Auftrittstag, wann stehe ich auf, frühstücke und spaziere an der frischen Luft. Wann spiele ich mich ein und wie lange. Zu welcher Zeit ziehe ich mir in Ruhe meinen Anzug oder Frack an und wie lange ist die Fahrzeit mit Reserve? Mische ich mich unter Kolleginnen und Kollegen oder benötige ich Zurückgezogenheit zum Sammeln meiner Kräfte und Aufmerksamkeit? Eine solche Strukturierung schafft Klarheit, Ordnung und Sicherheit.
Der "Glaube an sich selbst" und der Umgang mit der eigenen Gedankenwelt ist ein Teil der Kräftigung des Selbstbewusstseins. Selbstwirksamkeit durch Konzentration auf die eigenen Stärken ist ein wichtiger Schlüssel. Wie rede ich mit mir selbst? Wie schaue ich in die Welt hinein? Das Geheimnis des Könnens liegt letzten Endes im "Wollen".
Und ganz wichtig: niemals den Humor verlieren.
Im Fitnessstudio habe ich es gelernt: die willentliche Entspannung der Pulsfrequenz auf dem Laufband oder dem Fahrrad. Und es funktioniert. Durch kontrolliert bewusstes Atmen stellt sich nach und nach Entspannung ein und die Herzfrequenz sinkt, wird ergo willentlich gesteuert und korrigiert. Ein wichtiger Schritt zur Kontrolle des Lampenfiebers ist hiermit getan.
Eine gute Übung hierzu: joggen Sie ein paar Runden und kommen Sie zurück in das Übezimmer. Halten Sie mit erhöhtem Puls Töne aus. Sie werden lernen, Ihre Atemtechnik, besonders das Ausatmen, auch bei Stresszuständen ökonomisch in den Griff zu bekommen.
Wichtig für die Atem- und Pulskontrolle: länger ausatmen, als einatmen.
Setzen Sie sich einen Termin, beispielsweise in drei Tagen, an welchem Sie zur gleichen Tageszeit Ihr Programm komplett spielen. Rhythmisieren Sie Ihre Vorbereitung in Erwartung des Termins, ordnen Sie Ihre Gedanken und strukturieren Sie Ihre Übungen oder Warmups. Die Wiederholungen dieser fiktiven Konzerttermine nehmen dem tatsächlichen Termin die Angst und die Besonderheit.
Gedanken- und Pulsfrequenzkontrolle sind bei Auftrittsängsten ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Nur erwarten Sie bitte nicht, dass Sie die Auftrittsangst jemals total unter Kontrolle haben werden. Im Gegenteil: sie wird Ihr ständiger und verlässlicher Begleiter auf der Bühne sein, da sie eben einfach dazu gehört. Mit einem Unterschied: Sie werden nicht mehr durch das "Lampenfieber" Ihrer Fähigkeiten beraubt, sondern sind für Höchstleistung präpariert.
Viel Erfolg!