Die Ohren, unsere größten Lehrmeister

Gutes Zuhören

...ist aber der Grundstock allen Lernens im weiten Feld der Musik.
Instinktiv erfassen wir schon beim Radio hören als Kinder die verschiedenen Stile ohne dass uns erklärt wird, was was ist.
Volksmusik- Blasmusik- Popularmusik- Jazz- Klassik....
Oder für Klassik SpezialistInnen: warum klingt Mozart anders als Beethoven?
Alle diese Unterschiede sind verschiedene Sprachen oder bei Mozart und Beethoven vielleicht nur mehr Dialekte innerhalb einer Region..... diese Sprachen sprechen ohne Worte und erreichen die Seelen der Menschen, sie sind international und auf der ganzen Welt verstehbar!
Wenn wir aber nur so dahin spielen ohne uns zuzuhören, dann sprechen wir nicht mehr und erreichen auch unsere Zuhörer nicht.
Was also tun?
Da gibt es erstmal zuallererst das Geschriebene- den Willen des Komponisten/ der Komponistin- ausgedrückt in Notenschrift. Ausnahme natürlich die Improvisation.
Bei der Improvisation fällt dieser erste Schritt weg, denn es wird nicht gelesen. Das zu realisierende Hörbild entspringt direkt in unserem Kopf und wird in einem kreativen Prozess dauernd  neu "aufgefüllt".

Der geschriebene Notentext

...drückt so gut er kann aus, was gespielt werden soll. Niemals jedoch kann der geschriebene Text die gesamte Atmosphäre des Stückes, die stilistische Zuordnung genau genug beschreiben.
Es werden daher in unseren Ohren- oder unserem Erinnerungsvermögen- Ausdruckswelten wachgerufen, die es zu realisieren gilt, auf Basis des Textes und auf Basis der vielen Hörerfahrungen beim selber spielen, beim Radio/ CD etc. hören oder im Konzert.
Der Text richtet sich zuerst an unsere Augen- dann wird aufgrund des Gelesenen im inneren Hören, in unserer musikalischen Vorstellungskraft,  ein Hörbild entwickelt- und dieses soll nun umgesetzt werden. Wirklich eine komplexe und mitunter schwierige Aufgabe, je nachdem wie vertraut wir mit dem soeben gelesenen und seiner stilistischen Zuordnung sind.
Dieser Prozess darf nicht übersprungen werden, sonst passiert das am Anfang geschilderte.

Das Geheimnis

Wo liegt also das Geheimnis des "sich gut Zuhörens" ?
Wenn wir uns gut zuhören wollen, müssen wir zuerst innerlich hören, was wir spielen wollen.
Bis in letzte Detail! Tempo, Rhythmus, Melodieverlauf, Dynamik, Klangfarben, Vibrato, persönlicher Ausdruck, Stilsicherheit.....etc.
Dieses Zuhören will aber erlernt und geübt sein.
Für die Flötistinnen und Flötisten gibt es ein legendäres Übungsheft von einem der Väter des modernen Flötenspiels, von Marcel Moyse: " de la sonorite' " - "Über den Klang"
Jetzt lernen wir, wenn wir es richtig nützen, wahrlich das Zuhören.
Zu Beginn gibt es einfach nur 2 Töne zu verbinden:

Bevor wir diese Tonverbindung spielen sind bereits einige Entscheidungen zu treffen:

Welche Dynamik wähle ich oder welche dynamische Gestaltung wie z. b.:

Wie lange werde ich die Töne halten( Entscheidung für einen Puls).
Spiele ich mit Vibrato oder ohne ?

Nun starte ich also mit dieser Tonverbindung. Oft wird dann gleich die nächste einen Halbtonschritt tiefer gespielt- aber nein- stop!

Jetzt gilt es diese Tonverbindung öfter zu wiederholen und mit den Ohren ganz bei der Sache zu sein. Es gilt zu beurteilen:

Hat mein Ton Nebengeräusche?
Bin ich mit der Klangfarbe zufrieden?
Spiele ich die gewählte Dynamik- kann man sie hören???
Habe ich Vibrato gespielt?- passt dieses Vibrato zu der gewählten Dynamik?
Ist das Vibrato frei, ist vielleicht der Hals zu geschlossen?
Oder bin ich wirklich meinem Ziel gefolgt, ohne Vibrato zu spielen?
Natürlich läuft zu gleichen Zeit auch eine Kontrolle über unsere Spieltechnik ab:
Ist der Ansatz flexibel genug?
Ist die Atemstütze gut eingestellt?
Denn wenn wir nicht hören, was wir von uns hören möchten, liegen die Gründe ja meistens im technischen Detail und dann muss die Suche dort fortgesetzt werden in einem ständigen Wechselspiel:
 

WAS HÖRE ICH - WAS FÜHLE ICH

So gilt es das Spielgefühl mit der Hörerwartung zu verknüpfen bis beide sich treffen.
In jüngeren Jahren haben wir ja auch unsere LehrerInnen zu Hilfe, die uns Tipps geben, wie etwas interpretiert oder ausgeführt werden soll. Sie machen uns aufmerksam, wenn da etwas nicht dem Text oder Stil entspricht.
Später in der Phase ohne regelmäßigen Unterricht, ist es sehr hilfreich, sich hin und wieder aufzunehmen, das geht heute mit den Handys so leicht und mit einer hohen Qualität.
Regelmäßig stellt sich dann heraus, dass wir doch nicht das spielen, was wir vorgehabt hatten.
Nun gilt es, bei der Sache zu bleiben und sich nichts zu schenken: in kleinen Schritten können wir durch wiederholtes Aufnehmen unserem Ziel, das innere Hörbild zu erreichen, näher kommen.
Vielleicht klingt das Alles sehr nach harter Arbeit- aber man muss sich nur darauf einlassen- dann erlebt man unglaublich schöne Momente und manchmal sogar das Üben im " Flow".
Siehe auch :

www.flowskills.com/lernprozess.html
 

Viel Erfolg!

Univ.- Prof. Barbara Gisler Haase
Universitätsprofessorin für Flöte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, an der sie auch das Institut für Blas- und Schlaginstrumente leitet. Autorin der Flötenschulen "magic flute" und "fit for the flute", Miterfinderin der "Waveline" bzw. "Loop" Flöte, die großes internationales Interesse erweckt. Internationale Konzert- und Jurytätigkeit, zahlreiche CD's.