Tontechnik für die Blasmusik

Tontechnik für die Blasmusik oder: "Ein Mischpult ist keine Kläranlage"

Im Alltag einer Blaskapelle oder einer Big Band spielt die Ton- oder korrekter: Veranstaltungstechnik mit Mikrophonen, Mischpult, Verstärkern und Lautsprechern eine untergeordnete Rolle. Bei Proben reiner Blaskapellen wird, wenn nicht Gesang verstärkt werden muss, für gewöhnlich ohne Verstärkung gearbeitet. Bei Big Bands oder anderen Bands, die auch E-Gitarren, E-Bass und/oder Keyboard in der Besetzung haben, werden üblicherweise die eigenen Instrumentenverstärker benutzt.
Aber spätestens wenn das nächste große Konzert ansteht, könnte auch die Frage nach Ton-/ Veranstaltungstechnik thematisiert werden: Wird Verstärkung benötigt? In welchem Umfang? Lässt sich die Veranstaltung mit eigenem Material durchführen oder beauftragt man einen externen Veranstaltungstechniker. Viele Fragen und Erwartungen sind mit dem Thema Ton- /Veranstaltungstechnik verknüpft. In diesem Workshop möchte ich die Erfahrungen teilen, die ich zu diesem komplexen Thema sammeln konnte - es werden Sinn und Einsatzbereiche von Tontechnik erörtert, sowie Hilfestellung und Lösungsansätze für den tontechnikinteressierten Musiker geboten.

Wieso, weshalb warum ...

überhaupt Tontechnik? Das Thema bewegt sich im Spannungsfeld zwischen hoher Erwartungshaltung: "Wenn wir alles abnehmen, dann haben wir einen super Sound. Und dann machen wir gleich noch eine Mehrspuraufnahme und können gleich die neue CD herausbringen" und Ablehnung: "Wir sind doch laut genug! Wir brauchen keine Lautsprecher und Mikrophone, Das gab’s früher auch nicht, das bringt nix außer Arbeit und kostet viel Geld. Und dann ist das alles so kompliziert und außerdem will ich gar kein Mikrophon, dann hören mich ja alle..."
Zunächst gilt es also kritisch zu hinterfragen, was durch den Einsatz von Technik erreicht werden soll. Grundsätzlich lassen sich mehrere Szenarien vorstellen:

1. Szenario

Das Orchester ist ausgewogen in den einzelnen Stimmen und Registern besetzt und gut eingespielt. Die Dynamik der Musikstücke wird mit Unterstützung des Dirigats oder der musikalischen Leitung musikalisch und kunstvoll umgesetzt. Akustisch, d. h. ohne technische Unterstützung, ist der Gesamtklang hervorragend.
Eine perfekte Voraussetzung, wie Sie von professionellen Orchestern erzielt wird. In einer akustisch optimierten Spielstätte ist keine Verstärkung erforderlich, ganz im Gegenteil könnte der Einsatz von Tontechnik unter ungünstigen Umständen sogar zu einer Minderung der Tonqualität führen.
Wenn allerdings der Spielort keine optimalen akustischen Voraussetzungen bietet, ist eine technische Unterstützung erforderlich. Dies können z. B. Open Air Veranstaltungen, Aufführungen an "Event Locations", die eigentlich ungeeignet für musikalische Aufführungen sind oder Großveranstaltungen sein, wo die Distanz zwischen Zuhörer und Orchester zu überbrücken ist.

Das große Konzert in der Mehrzweckhalle

Praktisches Beispiel für unsere ambitionierte Kapelle ist das große Jahreskonzert in der Mehrzweckhalle der Gemeinde: eigentlich klingt die Kapelle super, aber ab der 10. Reihe klingt alles nicht mehr differenziert und irgendwie "matschig". Dafür sind, unter anderem, zwei physikalische Gründe zu nennen:

1. kommen zu dem direkten Ton des Orchesters die indirekten Schallreflexionen der Halle mit zeitlicher Verzögerung dazu, wodurch mit zunehmender Entfernung zur Bühne das "Nutzsignal", die Musik des Orchesters, beeinflusst und überlagert wird.

2. ist die Reichweite der Töne frequenzabhängig: die tiefen Töne reichen, vereinfacht ausgedrückt, weiter als die hohen Töne. So dass eine Verschiebung und Verfälschung des Klangbildes erfolgt. Die große Pauke ist auch in einiger Entfernung noch gut zu hören, nicht aber die Klarinette bei der Solopassage. Typisches Szenario: Das Konzert in der Mehrzweckhalle. Dezente Lautsprecherkombination für das Publikum und Monitorlautsprecher für die Gesangssolisten und das Orchester auf der Bühne. Durch Mikrofonierung und Verstärkung des Klangkörpers wird die Möglichkeit geschaffen, das Nutzsignal akustisch über den Raumklang zu heben, zumindest im Einflussbereich der Verstärkeranlage und Lautsprecher.  Idealerweise geschieht dies lediglich durch die Verstärkung des Originalklangs des Orchesters. Realisieren lässt sich dieses durch unterschiedlich aufwändige Ansätze von einer einfachen "Stereo Mikrofonierung" des Orchesters bis hin zur Einzelmikrofonierung jedes Instrumentes.

2. Szenario

Leider sind die Register nicht optimal besetzt und die einzelnen Stimmen haben eine sehr unterschiedliche "Leistungsdichte".

Hier kann die Mikrofonierung und Verstärkung helfen die unterrepräsentierte Stimmen oder Registerteile zu unterstützen und den Gesamtklang ausgewogener zu gestalten. So lassen sich z. B. schwach besetzte Stimmen oder "leisere" Instrumente gegenüber stärker besetzten Stimmen oder "lauteren" Instrumenten verstärken und klanglich besser darstellen.
In einem typischen Big Band Saxophonsatz aus zwei Tenorsaxophonen, zwei Altsaxophonen und einem Baritonsaxophon, wäre es sinnvoll dem Baritonsax ein eigenes Mikrofon zu geben, da der Baritonstimme oft das gleiche musikalische Gewicht zufällt, wie dem Rest des Saxophonsatzes und das Bari auch noch gegen Trompeten und Posaunen bestehen muss. Dazu kommt, dass das Bari-Sax zwar groß ist, aber aufgrund der Stimmlage längst nicht so durchsetzungsfähig und laut spielt wie z. B. Tenor- oder Altsax, die sich zu zweit ein Mikrofon teilen könnten und so immer die Möglichkeit haben dieses bei Solopassagen zu nutzen.
Bei den Trompeten und Posaunen geht es nicht darum die subjektive Lautstärke zu steigern, sondern durch geschickten Einsatz von Tontechnik, den Gesamtklang zu verdichten und dem Blech einen gewissen akustischen "Glanz" zu verleihen. Nicht zu vergessen sind Trompeten-Solopassagen, die mit Dämpfer gespielt werden: hier stellt die akustische Unterstützung durch ein Mikrofon eine große Hilfe für den Solisten dar.

Beispiele für Positionierung und Auswahl von Mikrophonen:

Für die Klarinetten: Clipmikrophone (Kleinmembran, Kondensator) nahezu unsichtbar an den Notenpulten befestigt (Bsp.: Audio Technica Pro 35) Großmembran Kondensatormikrophone: unauffällig zwischen den Saxophonen platziert (Bsp.: Audio Technica AE 3000)Dynamische Mikrophone am Blech von links nach rechts: Bsp.: EV N/D 308 an den Posaunen und EV RE 320, EV PL 10 zwischen Trompeten und Flügelhörnern. Für die Abnahme einer Tuba ließen sich ebenfalls mit dem Audio Technica Pro 35 Clipmikrofon überraschend gute Ergebnisse erzielen.

3. Szenario

Monitorfunktion für die Musiker. Eine Verstärkung muss nicht zwangsläufig nur für das Publikum erfolgen. Auch die Musiker auf der Bühne profitieren von Monitorlautsprechern, durch die sie sich selber oder andere Instrumente besser hören können
Kein ungewöhnliches Beispiel: Aufgrund der Platz- und Bühnensituation strahlen die Trompeten den Klarinetten direkt ins Ohr. Darauf angesprochen, mit der Bitte etwas leiser zu spielen heißt es: "dann können wir uns nicht hören...". Die Posaunen können sich auch nicht hören, weil das Schlagzeug so laut ist und die Intonation leidet auch schon unter dem unbefriedigendem Bühnensound.
Hier können geschickt platzierte Monitorboxen für die Musiker Abhilfe schaffen. Mithilfe dieser Lautsprecher lassen sich, völlig unabhängig vom Klang für das Publikum, eigenständige Musikmischungen erstellen, die lediglich das eigene Insrument bis hin zum gesamten Orchester wiedergeben können.
Im Gegensatz zu den Mikrophoneingangskanälen (sog. "Ins" oder "Inputs"), stellen die Monitorkanäle, ebenso wie Kanäle für die Hauptlautsprecher die Ausspielwege (sog. "Sends" oder "Outputs" bzw. "Main-" und "Aux Out") dar. Zur Verwaltung all dieser Signal wird ein Mischpult benötigt. Dieses stellt den Hauptarbeitsplatz des Tontechnikers dar.

Die optimale Position des Arbeitsplatzes liegt mittig zwischen den Lautsprechern in einem gleichschenkligen Dreieck ( -in diesem Fall etwas zu weit von der Bühne entfernt). Die wichtigste Funktion hat letztendlich der Tontechniker, der das optimale Klangbild sowohl für das Publikum als auch für die Musiker abmischen muss. Wichtige Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Tontechniker eine genaue Vorstellung von der Klangvorstellung des Orchesters und des entsprechenden Repertoires hat und mit den instrumentenspezifischen Eigenarten bei der Abnahme durch Mikrofone vertraut ist.

Bis dahin viel Erfolg,
Jürgen Wieching