Musiker/innen in der Probenarbeit

oder: was Probenarbeit und Törnvorbereitung in der Seefahrt gemein haben

Einleitung

Im Grundsatz gehorcht die Vorbereitung eines Fluges oder Segeltörns ähnlichen Prinzipien, wie die Probenarbeit zur Vorbereitung auf ein Konzert. Zwar geht es hier nicht um Leben und Tod, wohl aber um die optimale Vorbereitung auf eine wichtige Aktion - dem Konzert.

Vorbereitung ist das A und O

Bei der Planung eines Törns werden bekannte Landmarken, Seezeichen und Leuchtsignale festgelegt, um sich an ihnen Stück für Stück entlang zu arbeiten, bis das Ziel erreicht ist. Orientierung und Navigation funktionieren nur mit einer präzisen Vorbereitung.

Die Vorbereitungszeit für Konzerte ist heutzutage aus ökonomischen Gründen stark begrenzt, sodass die kurze Probezeit optimal genutzt werden muss. Dabei stehen Übersicht und Strukturierung im Vordergrund. Wer bereits in einem Kurorchester gespielt hat konnte viele Erfahrungen sammeln im Vom-Blatt-Spielen täglich wechselnder Programme. Die Fülle an Literatur, die man in kurzer Zeit bewältigen muss ist enorm und bedarf gewisser Techniken und Strukturierungen. Anders wäre eine solche Aufgabe nicht zu bewältigen. Und genau diese Vorbereitung ist für den normalen Konzertbetrieb Gold wert, denn sie bietet optimale Fehlervermeidung, Ruhe und Übersicht - sowohl im Profiorchester, als auch im Blasorchester.

Navigation an Hand bekannter Merkmale

Neben Taktzahlen bieten Buchstaben eine gute Orientierung, da diese in der Regel an markanten Stellen gesetzt werden, beispielsweise bei neuen Melodieteilen oder beim Einsetzen neuer hinzu gekommener Instrumente oder Gesangsstimmen. Hier lohnt es sich - insbesondere beim Abzählen langer Pausen - kurze Notizen zu machen.

Durchzählen von Faulenzern und ostinaten Motiven

In der Aufregung verliert man gerne die Konzentration und Übersicht, z. B. bei sich wiederholenden (ostinaten) Rhythmen oder Motivwiederholungen, sogenannten Faulenzern (./.). Hier empfiehlt es sich, diese durch zu nummerieren, denn einmal verzählt und die Orientierung ist dahin.

Zählen von langen Pausen

Die Technik Pausentakte unterstützend mit der Hand zu zählen gehört zum Standard der Musikausbildung. Fehler beim Musizieren können passieren - Fehler beim Zählen sind vermeidbar und ärgerlich. Mein Professor sagte immer. „Wer Geld Banknoten zählen kann, der kann auch Pausen zählen.“ Der Daumen ist beim Zählen wichtig - er steht für die Zahlen 1, 6, 11, 16, 21 usw. Die Zahlen 2, 3, 4, und 5 werden durch Berühren des Daumens der verbleibenden Finger angezeigt.

Einsatz durch den Dirigenten

Ganz wichtig: verantwortlich für den eigenen Einsatz ist allein der Interpret selbst. Das Warten auf den Einsatz des musikalischen Leiters entbindet nicht  von der eigenen Orientierung. In der Hitze des Konzertes vergaß schon so mancher Maestro einen Einsatz zu geben- nobody is perfect. Verlassen wir uns besser auf uns selbst.

Um Takte von Anfang an richtig zählen zu können muss man wissen, was der Dirigent „schlägt“: 4/4, 8/8, alla breve 2/2?

Markierung von Kopf 1+2, Dal segno, da capo, Coda, Trio und Wiederholungszeichen

Sofern es das Notenmaterial zulässt, ist die Markierung durch Bleistift (grau oder bunt) eine wichtige Orientierungshilfe. Wer einmal in einem Kurorchester Aushilfe gemacht hat und jeden Tag neue Werke „konsumieren“ und interpretieren musste weiß, wovon ich spreche. Das Auge ist bei großen Sprüngen (manchmal 2 Seiten zurück) schnell überfordert. Hier helfen Markierungen enorm und vermeiden Fehler.

Notenmaterial praxisgerecht einrichten

Oft stehen Hinweise im Notenmaterial zeitlich ungünstig, wie zum Beispiel bei Einsatz des Dämpfers (sourdine). In diesem Falle steht die Angabe direkt beim Einsatz „B“- also definitiv zu spät. Hier muss der Hinweis vorgezogen notiert werden, nämlich vor „A“, damit die Pause zum Setzen des Dämpfers genutzt werden kann. Ergebnis: Zeitgewinn und Ruhe.

Intonatorische Hinweise

Bei heiklen Akkorden im Orchester helfen intonatorische Notizen. War mein f‘‘ in der Probe zu hoch, so notiere ich (Pfeil nach unten), damit es beim nächsten Mal etwas tiefer angespielt wird. Auch der Hinweis auf besondere Stellen mit einem (!), einem Vorzeichen oder dem bekannten Brillenzeichen warnen rechtzeitig vor Stolperfallen.

Wenden des Notenblatts

Hektik beim Wenden des Notenblattes kann man vorbeugen, indem man z. B. die letzten Pausentakte der vorherigen Seite 2 gleich auf die folgende Seite einträgt, sodass früher gewendet werden kann. Oft beginnt die neue Seite gleich auf Takt 1 mit einem Einsatz. Manchmal hilft es die nächste Seite zu kopieren und diese gleich neben die vorherige zu legen. Überhaupt sollten nur die Noten auf dem Pult liegen, die im Moment benötigt werden- andernfalls kommt es zu einem Durcheinander, oder die Blätter fallen gar auf den Boden. Wie gesagt - Vorbereitung ist alles.

Fazit:

Nur das, was bekannt ist, kann auch wieder erkannt werden. Und genau dafür muss die Probe genutzt werden: um Orientierungshilfen und spieltechnisch sinnvolle Hinweise zu notieren. Nur so können neue Werke mit Ruhe angegangen und wichtige Stellen rechtzeitig erkannt und bewältigt werden. Also - nutze die Probe - carpe studium.

Mit musikalischen Grüßen

Andreas Michel